Alte Neue Börse (Industrie- und Handelskammer)

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Sitz des Wirtschaftsrats des vereinigten Wirtschaftsgebiets 1947-1949

ADRESSE
Börsenstraße 6-8 / Börsenplatz, 60313 Frankfurt am Main
Öffnungszeiten: Führungen in der Handelskammer und Börsensaal auf Anfrage.

Der Wirtschaftsrat für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet (amerikanisches und britisches Besatzungsgebiet in Deutschland) wurde 1947 von den amerikanischen und britischen Militärregierungen geschaffen. Nach der Weigerung der französischen und sowjetischen Besatzungsmächte, eine Lösung für alle Zonen zu finden, sollte der Wirtschaftsrat eine gemeinsame, harmonisierte Verwaltung zumindest für die amerikanische und die britische Besatzungszone (die Bizone) ermöglichen. Der Wirtschaftsrat bestand aus den drei Organen Wirtschaftsrat (im engeren Sinne), dem Exekutivrat (später Länderrat) und dem Verwaltungsrat der Direktoren der sechs Hauptverwaltungen.

Der Wirtschaftsrat (im engeren Sinne)

Der Wirtschaftsrat war die gesetzgebende Körperschaft der Bi-Zone und nur eine indirekte Volksvertretung. Die Länderparlamente in der amerikanischen und in der britischen Zone wählten und entsendeten Mitglieder in den Wirtschaftsrat. Die Anzahl der Mitglieder war nach Größe der Länder gestaffelt: Bayern stellte 12 Mitglieder, Bremen 1 Mitglied, Hamburg 2, Hessen 5, Niedersachsen 8, Nordrhein-Westphalen 16, Schleswig-Holstein 3, Württemberg-Baden 5; zusammen 52 Mitglieder. Im Februar 1948 wurde die Zahl der Mitglieder pro Land verdoppelt, also auf insgesamt 104 Mitglieder erhöht. Mit der Vergrößerung des Wirtschaftsrates zogen erstmals auch Frauen in den Rat ein. Passend zum Versammlungsort im Börsensaal der Alten Neuen Börse wurde der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Wiesbaden, Erich Köhler, zum Vorsitzenden des Zweizonen-Wirtschaftsrates gewählt. Die Mitglieder des Rates hatten sich zur konstituierenden Sitzung im (so schrieb es Der Spiegel) schwarz-rot-gold beflaggten Frankfurt versammelt.

Der Exekutivrat / der Länderrat

Der ständig tagende Exekutivrat bestand aus acht Personen. Jede Landesregierung entsandte ein Mitglied. Der Exekutivrat wurde 1948 durch den Länderrat ersetzt und auf 16 Mitglieder vergrößert. Dieser Rat hatte Gesetzesinitiativrecht und konnte Veto gegen Beschlüsse des Wirtschaftsrates einlegen, das dieser mit absoluter Mehrheit überstimmen konnte. Der Exekutivrat hatte zudem ein Vorschlagsrecht für die Benennung der Direktoren der Hauptverwaltungen.

Der Verwaltungsrat der Direktoren und die Hauptverwaltungen

Die Hauptverwaltungen dienten zur Ausführung der im Wirtschaftsrat erlassenen Gesetze. Die Verwaltungen hatten ihren Sitz in Frankfurt und Umgebung: Die Verwaltung für Wirtschaft (Frankfurt am Main-Höchst), Verwaltung für Verkehr (Offenbach), Verwaltung für Finanzen (Bad Homburg), Verwaltung für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Frankfurt am Main), die Verwaltung für das Post- und Fernmeldewesen (Frankfurt am Main) und die Verwaltung für Arbeit (Frankfurt am Main). Die Leitungen der Hauptverwaltungen, die Direktoren, bildeten den Verwaltungsrat.

Überleitung zur Bundesrepublik Deutschland

Die Bundesrepublik entstand aus dem Vereinigten Wirtschaftsgebiet, das um die französische Besatzungszone erweitert wurde (“Trizonien”). Noch heute regelt Artikel 133 des Grundgesetzes: “Der Bund tritt in die Rechte und Pflichten der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes ein.”

Auch gab es eine personelle Kontinuität. 49 Mitglieder des Wirtschaftsrates wurden in den ersten Bundestag gewählt. Der erste Präsident des Bundesrates, der nordrhein-westphälische Ministerpräsident Karl Arnold, war zuvor Mitglied des Länderrates. Viele der Direktoren wurden Bundesminister, die Hauptverwaltungen wurden in Bundesministerien überführt.

Aufgrund von Gesetzen des Wirtschaftsrates entstanden 1948 die heute noch existierende Kreditanstalt für Wiederaufbau (heute KfW Bank) und das in Wiesbaden ansässige Statistische Amt des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, das 1950 zum Statistischen Bundesamt wurde.

Zeitzeugen

Zwei heute noch gut bekannte Mitglieder des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebiets waren Ludwig Erhardt, späterer Bundesminister und Bundeskanzler, und Franz-Josef Strauß, späterer Bundesminister und bayrischer Ministerpräsident.

“Das ‘Vereinigte Wirtschaftsgebiet’ – volkstümlich Bizone genannt – schuf die wichtigsten und entscheidenden Grundlagen für die im Jahre 1949 erfolgte Konstituierung der ‘Bundesrepublik Deutschland’. (…) In den schicksalhaften Jahren wurde der Grundstein für jene Politik gelegt, die das wirtschaftliche und soziale Leben unseres Volkes bis in die Gegenwart hinein bestimmt und zugleich – bereits vor Erlangen der deutschen Souveränität – die Zugehörigkeit der Bundesrepublik Deutschland zur westlichen Welt unlösbar machte. (…)
Wenn seit der ersten Bundestagswahl im Jahre 1949 die Bundesregierung auf der Grundlage der in Frankfurt/M. gedachten und geformten Prinzipien die deutsche Position nach innen und außen weiter auszubauen und zu festigen in der Lage war, dann scheint es um der geschichtlichen Wahrheit willen angebracht, dieser ‘Gründerjahre’ zu gedenken und und bewußt werden zu lassen, unter welch heute kaum noch vorstellbaren Schwierigkeiten und armseligen äußeren Bedingungen die Grundlagen unseres heutigen Staatswesen, aber auch unseres heutigen Wohlstands geschaffen wurde.”

Ludwig Erhard

“Wir im Frankfurter Wirtschaftsrat haben auf die Verfassungsmacher des Parlamentarischen Rates ein wenig heruntergeschaut. Wir fühlten uns erstens als die Früheren und zweitens als die Besseren. Wir wussten, dass die Wirtschaft unser Schicksal ist und dass auf diesem Felde die Entscheidung fallen würde, nicht im Paragraphenstreit der Verfassungsrechtler. Dieses Denken kam aus der Not und dem Elend der damaligen Zeit, zu deren Überwindung wir mit historisch weitreichenden Entscheidungen wie der für die Soziale Marktwirtschaft beitrugen. Heute ist die Sicht anders – der Frankfurter Wirtschaftsrat ist fast vergessen. Die Helden, so das allgemeine Bild, saßen im Parlamentarischen Rat in Bonn. Die historische Bewertung aus der Distanz mag das so sehen, die erlebte Erfahrung jener Jahre war anders.”
Franz-Josef Strauß

Das Gebäude

Das von den Frankfurter Architekten Heinrich Burnitz und Oskar Sommer entworfene Gebäude wurde 1879 als Neue Börse eingeweiht und löste damit die Alte Börse zwischen Paulsplatz und Neue Kräme als Handelsort der Frankfurter Börse ab. Das Gebäude dient heute als Sitz der Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main. Trotz des Endes des Parketthandels ist der Handelssaal ein beliebter Ort für die TV-Berichterstattung zu den Entwicklungen an der Frankfurter Börse.

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