Frankfurt und seine demokratischen Stätten

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In diesem Jahr feiern wir in Frankfurt den 175. Jahrestag des Zusammenkommens der deutschen Nationalversammlung in der Paulskirche. Die Paulskirche ist das bekannteste Gebäude, das wir mit Demokratie in dieser Stadt verbinden. Und es ist quasi das einzige, an dem außen auf die demokratische Geschichte des Gebäudes hingewiesen wird. Die folgenden Orte sind die stillen, eher unbekannten Orte der Demokratiegeschichte Frankfurts.

Aus der Zeit der Nationalversammlung ist die Paulskirche einer von vier Demokratieorten, die heute noch erhalten, bzw. wiederaufgebaut sind. Neben der „Wiege der deutschen Demokratie“ am Paulsplatz ist da das Bundespalais, heute meist nur als Palais Thurn und Taxis bekannt. 1848/49 diente das Palais als Sitz der provisorischen Reichsregierung. Davor und danach beherbergte es den Bundestag des Deutschen Bundes, daher der Name: Bundespalais.

Von den vielen im ganzen Stadtgebiet verteilten Sitzungsorten der Fraktionen der Nationalversammlung, das waren meist gastronomische Einrichtungen, steht nur noch das Steinerne Haus am Markt. Heute befindet sich in diesem Gebäude der Frankfurter Kunstverein. Von Juni bis September 1848 war es der Treffpunkt einer konservativen Fraktion der Nationalversammlung. Diese Gruppe hielt danach ihre Sitzungen im Café Milani ab, dies war ein Kaffeehaus an der Hauptwache. Das Café und das Gebäude gibt es nicht mehr, der Name Milani-Fraktion ist aber Paulskirchen-Interessierten immer noch ein Begriff.

Von links oben nach rechts unter: Paulskirche, für den Bundestag 1949 vorgesehener Rundbau an der Bertramstraße, Bundesparlais „Thurn & Taxis“, Steinernes Haus am Markt | Fotos: Mikael GB Horstmann

Schräg gegenüber vom Steinernen Haus, auf der anderen Seite des Römerbergs, steht der vierte erhaltene Ort der Revolutionsjahre: das Haus Laderam bzw. Limpurg. Den meisten ist nur die nun seit Jahren schon geschlossene Weinstube im Erdgeschoss ein Begriff. 1848-50 befand sich in diesem Gebäude das Zentrum der Frankfurter Revolution. Parallel zu den nationalen Einheits- und Demokratieaktivitäten in der Paulskirche tagten im Haus Limpurg frei gewählte Frankfurter in einer verfassungsgebenden Versammlung. Die Freie Stadt Frankfurt war in dieser Zeit keineswegs eine demokratische Republik. Die Herrschaftsform des damaligen Frankfurts war eher eine Timokratie oder eine Oligarchie. Es herrschten ein paar wenige vermögende und „ehrenwerte“ Frankfurter. Die Mitglieder der verfassungsgebenden Versammlung erarbeiteten eine Verfassung für einen neuen Freistaat Frankfurt, also eine demokratische Stadtrepublik. Dieses Projekt scheiterte wie auch die Nationalversammlung in der Paulskirche.

Wer ist nicht schon einmal am Grandhotel Frankfurter Hof am Kaiserplatz vorübergangen? Das hier der Soldatenrat nach dem ersten Weltkrieg vor Ausrufung der Weimarer Republik seinen Sitz hatte, ist nur wenigen bekannt. Einige hundert Meter weiter steht mit dem Gebäude der Alten Neuen Börse ein weiterer Ort einer Übergangszeit. Nach dem zweiten Weltkrieg tagte hier der Wirtschaftsrat der Bizone. Zusammengesetzt wurden die beiden Kammern aus Abgesandten der Landesparlamente und Landesregierungen der Länder in den englischen und amerikanischen Besatzungszonen. Von 1947 bis 1949 war Frankfurt also „De-facto-Hauptstadt“. Auch deshalb machte man sich in Frankfurt große Hoffnungen, 1949 auch die provisorische Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland zu werden. Dies klappte bekanntermaßen nicht; Bonn wurde Hauptstadt der BRD.

Ein Überbleibsel dieser Zeit ist das runde Gebäude des Hessischen Rundfunks an der Betramstraße. Heute befindet sich dort die Goldhalle, das Foyer des hr-Sendesaals. Das Haus sollte eigentlich den Bundestag der neuen westdeutschen Republik beherbergen. Der die Paulskirche zitierende Bau ist also ein „Fastdemokratieort“.

Neben Meinungs- und Pressefreiheit gehören die Versammlungsfreiheit und das Recht, Vereinigungen zu bilden, zu den wichtigen Grundrechten. Im 19. Jahrhundert waren es vor allem private Gasthäuser, die Räume für diese Freiheiten bereitstellten: die Veranstaltungssäle und College, wie in Frankfurt die Hinterzimmer der Gaststätten hießen. Das vermitteln die Namen der Fraktionen der Nationalversammlung bis heute: Café Milani, Deutscher Hof oder Westendhall etc.

Man war damit aber den Inhabern ausgeliefert. Wenn diese nicht vermieten wollten, nutzt auch die in der Verfassung garantierte Versammlungsfreiheit nichts. In Sossenheim bauten sich deshalb in den 1920er Jahren Arbeiter und Turner einen eigenen Ort für Kultur, politische Versammlungen und das Ausüben des Sportes der demokratisch gesinnten Turnerschaft: das Sossenheimer Volkshaus ist also auch ein Ort der Frankfurter Demokratiegeschichte.

Mikael GB Horstmann, Stadtführer und Demokratietrainer, Stadtrat im ehrenamtlichen Magistrat (für die Partei Volt)

Erschienen in: evangelisches eckenheim, Informationen der Evangelischen Nazarethgemeinde Frankfurt am Main, Gemeindebrief Mai 2023 Nr. 4/33. Jahrgang (Link zur Ausgabe)


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